Behinderung und Alter

Menschen mit Behinderung werden älter. Diese an sich erfreuliche Entwicklung fordert die verschiedenen Versorgungssysteme heraus. Auch ARTISET Zürich hat dieses Thema auf dem Radar.

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Ausgangslage

Die Lebenserwartung von Menschen mit einer Behinderung ist in den letzten Jahrzehnten gestiegen. Immer mehr von ihnen erreichen das AHV-Alter. In den Institutionen für Menschen mit Behinderung nimmt die Altersgruppe der 56- bis 64-Jährigen im Angebotsbereich „Wohnen“ am stärksten zu. Auch die Anzahl Personen, die 65 Jahre oder älter sind, steigt. Im Jahr 2018 betrug der Anteil der über 55-Jährigen in den Institutionen rund 30 %. Die zunehmende Lebenserwartung von Menschen mit Behinderung stellt nicht nur Betroffene, Angehörige und Bezugspersonen vor neue Herausforderungen, sondern auch Institutionen und Fachorganisationen.

Herausforderungen

Die Herausforderungen, die sich beim Thema Behinderung und Alter stellen, sind auf verschiedenen Ebenen angesiedelt:

  • Durch die Segmentierung des Sozialversicherungssystems in Altersvorsorge und Invalidenversicherung sind der Alters- und Behindertenbereich institutionell und finanziell getrennt. So wechseln Menschen mit Behinderung beim Eintritt ins Pensionsalter von der IV zur AHV und somit vom Status "behindert" zum Status "betagt". Dadurch kann sich ihre persönliche und finanzielle Situation verschlechtern.
  • Viele Menschen mit Behinderung leben ausserhalb von Institutionen und sind in familiäre Betreuungsstrukturen eingebettet. Mit zunehmendem Alter können diese Betreuungsstrukturen wegfallen, weil auch die betreuenden Angehörigen älter werden.
  • Das Wegfallen von familiären Betreuungsstrukturen kann gegenwärtig nur ungenügend durch die bestehenden ambulanten und stationären Angebote aufgefangen werden. In den Alterseinrichtungen fehlt es grösstenteils an den notwendigen behinderungsspezifischen Voraussetzungen. Und in den Institutionen für Menschen mit Behinderung ist die Finanzierung für Menschen mit Behinderung, die älter als 65 Jahre sind, nicht gewährleistet.
  • In den Institutionen für Menschen mit Behinderung zeigen sich im Umgang mit Altersfragen grosse Unterschiede. Gefordert sind Lösungen für den erhöhten Pflegebedarf von älteren Klienten und die Anpassung des Angebots an Tagesstrukturen an den veränderten Bedarf.
  • Eine kantonale Gesamtsteuerung der Angebote für ältere Menschen mit lebenslanger oder im Alter erworbener Behinderung fehlt. Es mangelt insbesondere an interdisziplinären, bedürfnis- und bedarfsgerechten Angeboten.

Selbstbestimmung am Lebensende

Die Behindertenorganisationen setzen sich weiter dafür ein, dass Menschen mit Behinderung auch im Pensionsalter ein möglichst selbstbestimmtes Leben führen können. Dies bedingt, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen älteren Menschen mit Behinderung erlauben, ihren Wohnort selber zu wählen und, falls gewünscht, in ihrer bisherigen Institution bleiben zu dürfen. Dafür müssen die Institutionen ihre Leistungen und Angebote den veränderten Bedürfnissen von Menschen mit Behinderung im AHV-Alter anpassen. Laut der Studie von Monika Wicki „Palliative Care für Menschen mit einer intellektuellen Behinderung – PALCAP“ (HfH, 2015) konnten im Untersuchungszeitraum (2012–2015) die Bewohner/-innen in jedem dritten Wohnheim bis ans Lebensende wohnen bleiben, wenn sie dies wollten. Die restlichen zwei Drittel der Wohnheime konnten eine Begleitung bis ans Lebensende aus fachlich-personellen Gründen oder aufgrund der fehlenden Infrastruktur nicht gewährleisten.

Mehr zur HfH-Studie

Leitfaden "Die Zukunft ist jetzt"

An der HfH wurde im Rahmen der Forschungsprojekte PALCAP und „Die Zukunft ist jetzt!“ ein Leitfaden für Bezugspersonen und Beistände entwickelt, um Erwachsene mit einer Behinderung bei der Planung der Wohnsituation, der Arbeitssituation, der finanziellen und rechtlichen Fragen und beim Übergang in den Ruhestand zu unterstützen. Ebenso können schwierige Fragen im Umgang mit Krankheit und Tod angesprochen und diskutiert werden.

Mehr zum HfH-Leitfaden

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